Eine wundervolle Reportage, die das neue Jahr voll Hoffnung beginnen lässt. Aber auch große Fragen aufwirft: welches Leben ist lebenswert? Darf das überhaupt gefragt werden? Würde ich selbst abtreiben?
Was rate ich als Ärztin meiner schwangeren Patientin?
«Kurz vor Lottas Geburt wurde in ihrem Gehirn eine Fehlbildung entdeckt. Ihre Mutter schreibt hier von Momenten tiefer Verzweiflung. Und großen Glücksgefühlen.
Lotta kann krabbeln, sagt ihr großer Bruder Ben. Im Geheimen. Im Geheimen kann Lotta, zwei Jahre alt, so einiges: sitzen, sehen, »Mama« sagen. Meine Tochter hat geheime Superkräfte, die nur ihr vierjähriger Bruder kennt. Der Rest der Welt sieht sie anders: als Vena-Galeni-Kind, körper- und sehbehindert. Ihre Krankengeschichte lagert in einem dicken roten Ordner, bald müssen wir einen zweiten kaufen, so voll ist er schon. Ben sagt, es macht nichts, falls Lotta später mal einen Rollstuhl kriegt, »aber schieben darf nur ich den«. Außerdem könne sie ja immer noch fliegen.
Im Sportverein. Ben rennt mit den anderen Kindern um die Wette, ich trinke Latte macchiato und lasse Lotta auf meinen Knien reiten. Sie grinst. Eine andere Mutter:
»Wann hat man das denn festgestellt?«
»Die Fehlbildung? Im neunten Monat, 33. Woche.«
»War es da zu spät?«
»Wofür?«
»Um was dagegen zu machen.«
»Das kann man nicht im Mutterleib operieren.«
»Nein, aber…«
Das Wort »abtreiben« spricht sie schon nicht mehr aus.
Warum gibt es dich, Lotta? […]»